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Anmerkung zu:BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 25.01.2023 - XII ZB 29/20
Autor:Frank Götsche, RiOLG
Erscheinungsdatum:30.05.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 1618 BGB, § 63 FamFG, § 58 FamFG, § 64 FamFG, § 18 FamFG, § 68 BGB
Fundstelle:jurisPR-FamR 11/2023 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Götsche, jurisPR-FamR 11/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Voraussetzungen einer Namensänderung des Kindes



Leitsätze

1. Wird die Beschwerde in einer Familiensache beim nicht empfangszuständigen Oberlandesgericht eingelegt und entscheidet dieses trotz Unzulässigkeit der Beschwerde in der Sache, so kann das Rechtsbeschwerdegericht wegen der versäumten Beschwerdeeinlegungsfrist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, wenn das fehlende Verschulden des Beschwerdeführers offenkundig ist und die zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung ausreichende Übersendung der Akten an das Amtsgericht von Amts wegen zu erfolgen hatte. Das Rechtsbeschwerdegericht kann in diesem Fall die Aktenübersendung selbst veranlassen.
2. Die Ersetzung der Einwilligung in die Einbenennung ist nur dann für das Kindeswohl erforderlich, wenn gewichtige, über die mit der Einbeziehung des Kindes in die Stieffamilie verbundene typische Interessenlage hinausgehende Gründe hierfür vorliegen (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 24.10.2001 - XII ZB 88/99 - FamRZ 2002, 94). Von einer ohne Einbenennung entstehenden Gefährdung des Kindeswohls ist die Ersetzung der Einwilligung hingegen nicht abhängig (teilweise Aufgabe der Senatsbeschlüsse vom 10.03.2005 - XII ZB 153/03 - FamRZ 2005, 889 und vom 09.01.2002 - XII ZB 166/99 - FamRZ 2002, 1330).
3. Ist nach umfassender Abwägung der Kindeswohlbelange und des Kontinuitätsinteresses des namensgebenden Elternteils die Erforderlichkeit der Einbenennung zu bejahen, hat das Familiengericht als mildere Maßnahme stets eine additive Einbenennung zu prüfen. Genügt diese den Belangen des Kindes, wird aber ein darauf gerichteter (Hilfs-)Antrag nicht gestellt, so ist die Ersetzung der Einwilligung abzulehnen.



A.
Problemstellung
Setzt die Ersetzung der Erklärung eines Elternteils zur Einbenennung des Kindes nach § 1618 Satz 4 BGB eine Kindeswohlgefährdung voraus?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das aus der seit längerem geschiedenen Ehe der beteiligten Eltern hervorgegangene elfjährige Kind trägt den Nachnamen des Kindesvaters. Die Kindesmutter ist wiederverheiratet und trägt den Namen ihres heutigen Ehemanns. Ihr ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen worden. Wegen weiterer sorgerechtlicher Befugnisse hat der Kindesvater, der bereits langjährig keinen Kontakt mehr zum Kind hat und unter psychischen Problemen leidet, ihr Vollmacht erteilt.
Die (anwaltlich nicht vertretene) Kindesmutter hat die Ersetzung der Einwilligung des Kindesvaters in die Einbenennung des Kindes beantragt. Das Kind hat der Einbenennung zugestimmt. Das Amtsgericht wies den Antrag zurück. Das Oberlandesgericht ersetzte auf die unmittelbar bei ihm von der Kindesmutter eingelegte sofortige Beschwerde die Einwilligung des Kindesvaters in die Erteilung des Ehenamens für das Kind antragsgemäß. Dagegen richtete sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Kindesvaters.
Der BGH hat die angefochtene Entscheidung aufgehoben und an das Oberlandesgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Eine Einbenennung gegen den Willen des namensgebenden Elternteils gebiete eine umfassende Abwägung der Kindeswohlbelange und des Kontinuitätsinteresses des namensgebenden Elternteils. Die Abwehr einer Kindeswohlgefährdung sei für die Erforderlichkeit aber nicht zwingend. Ausreichend sei vielmehr, dass andernfalls schwerwiegende Nachteile für das Kind zu befürchten wären oder die Einbenennung zumindest einen so erheblichen Vorteil für das Kind darstellen würde, dass ein sich verständig um sein Kind sorgender Elternteil auf der Erhaltung des Namensbandes nicht bestehen würde (BGH, Beschl. v. 24.10.2001 - XII ZB 88/99 - FamRZ 2002, 94, 95). Werde nach umfassender Abwägung der Kindeswohlbelange und des Kontinuitätsinteresses des namensgebenden Elternteils die Erforderlichkeit der Einbenennung bejaht, müsse zudem von Amts wegen geprüft werden, ob nicht eine additive Einbenennung als mildere Maßnahme ausreicht, um die berechtigten Interessen des Kindes zu wahren (BGH, Beschl. v. 24.10.2001 - XII ZB 88/99 - FamRZ 2002, 94, 95). Letzteres hatte das Oberlandesgericht nicht beachtet.


C.
Kontext der Entscheidung
1. Allgemeine Voraussetzungen der Einbenennung
Nach § 1618 Satz 1 BGB können der Elternteil, dem die elterliche Sorge für ein Kind allein oder gemeinsam mit dem anderen Elternteil zusteht, und sein Ehegatte, der nicht Elternteil des Kindes ist, dem Kind, das sie in ihren gemeinsamen Haushalt aufgenommen haben, durch Erklärung gegenüber dem Standesamt ihren Ehenamen erteilen. Dies bedarf nach § 1618 Satz 3 BGB der Einwilligung des anderen Elternteils, wenn ihm die elterliche Sorge gemeinsam mit dem den Namen erteilenden Elternteil zusteht oder das Kind seinen Namen führt, und ab seinem 5. Lebensjahr auch der Einwilligung des Kindes. Nach § 1618 Satz 4 BGB kann das Familiengericht die Einwilligung des anderen Elternteils ersetzen, wenn die Erteilung des Namens zum Wohl des Kindes erforderlich ist.
Gemäß § 1618 Satz 2 Halbsatz 1 BGB können der Elternteil und sein Ehegatte den Ehenamen unter den gleichen Voraussetzungen auch dem vom Kind zur Zeit der Erklärung geführten Namen voranstellen oder anfügen.
2. Erforderlichkeit
Für die Erforderlichkeit i.S.v. § 1618 Satz 4 BGB hatte der BGH vielfach konkrete Umstände, die das Kindeswohl gefährden, gefordert; die Einbenennung müsse unerlässlich sein, um Schaden vom Kind abzuwenden (BGH, Beschl. v. 10.03.2005 - XII ZB 153/03 - FamRZ 2005, 889, 890; BGH, Beschl. v. 09.01.2002 - XII ZB 166/99 - FamRZ 2002, 1330; vgl. auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.05.2022 - 6 WF 54/22 - FamRZ 2022, 1196). Dafür rückt der BGH nunmehr ausdrücklich ab und differenziert (begrifflich zutreffend) zwischen Kindeswohlerforderlichkeit und -gefährdung. Weil die typischerweise mit einer Einbeziehung des Kindes in die Stieffamilie verbundenen Interessen erkennbar nicht genügen, siedelt der BGH damit die Kindeswohlerforderlichkeit zwischen der Kindeswohlgefährdung und der Kindeswohldienlichkeit an und fordert eine „außerordentliche Belastung“ für das Kind (vgl. auch Deuring, FamRZ 2023, 593, 597). Wann diese aber konkret vorliegt, bleibt offen und muss daher letztendlich kindesindividuell bestimmt werden.


D.
Auswirkungen für die Praxis
§ 1618 Satz 4 BGB ist als Ausnahmetatbestand konstruiert, weshalb es im Regelfall bei der Namenskontinuität bleibt. Der die Einbenennung wünschende Elternteil muss deshalb sorgsam Vorbringen, worin diese „Kindeswohlerforderlichkeit“ besteht. Es genügt dabei nicht, dass eine Namensänderung wünschenswert und dem Kindeswohl dienlich erscheint. Typische Folgen des Wechsels des Kindes in eine neu gegründete Familie genügen (jedenfalls für sich betrachtet) also nicht, z.B.
- das Bedürfnis nach einer namensmäßigen Integration in die Stieffamilie
- die erwünschte Namensübereinstimmung mit hinzugetretenen (Halb-)Geschwistern
- ein in der Schule bestehender Erklärungsbedarf für die Namensverschiedenheit.
Eine schematische Anknüpfung an die bloße Dauer eines Kontaktabbruchs zwischen Kind und Elternteil löst ebenfalls nicht die „Erforderlichkeit“ aus (vgl. bereits BGH, Beschl. v. 24.10.2001 - XII ZB 88/99 - FamRZ 2002, 94, 95). Vielmehr muss eine Situation vorliegen, in welcher ein sich verständig um sein Kind sorgender Elternteil auf der Erhaltung des Namensbandes nicht bestehen würde. Dafür bedarf es entweder
- eines schwerwiegenden Nachteils für das Kind bei Beibehaltung des Namensbandes oder
- eines erheblichen Vorteils für das Kind im Falle seiner Einbenennung.
Bei dieser Bewertung wird dem Willen des Kindes eine hohe Bedeutung zukommen. Je älter das Kind und je verfestigter und unbeeinflusster seine Willensbildung ist, desto eher dürfte auch die Kindeswohlerforderlichkeit zu bejahen sein. Und selbst wenn nach all diesen Hürden eine Kindeswohlerforderlichkeit zu bejahen ist, muss noch als milderes Mittel die Voranstellung oder Anfügung des Namens des beantragenden Elternteils (vgl. § 1618 Satz 2 BGB, sog. additive Einbenennung) in Erwägung gezogen und mangels Kindeswohlerforderlichkeit zu verneinen sein.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Beschwerdefrist von einem Monat (§ 63 Abs. 1 FamFG) für die an sich statthafte Beschwerde (§§ 58 ff. FamFG) war bereits langjährig verstrichen, da eine Weiterleitung der (beim Oberlandesgericht eingelegten) Beschwerde an das Amtsgericht als Eingangsgericht (§ 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG) durch das Oberlandesgericht nie veranlasst wurde (wozu aber eine Amtspflicht bestand, BGH, Beschl. v. 17.08.2011 - XII ZB 50/11 - FamRZ 2011, 1649). Der BGH gewährt der Kindesmutter aber die Wiedereinsetzung in eigener Zuständigkeit (BGH, Beschl. v. 15.07.2021 - IX ZB 73/19 - NJW 2022, 199). Selbst der Ablauf der Jahresfrist nach § 18 Abs. 4 FamFG sei dafür unschädlich, weil die Fristversäumung allein dem Gericht zuzurechnen sei und die verfassungsmäßigen Rechte der Kindesmutter nur so zu wahren seien (BGH, Urt. v. 15.12.2010 - XII ZR 27/09 - FamRZ 2011, 362; BGH, Beschl. v. 20.02.2008 - XII ZB 179/07 - FamRZ 2008, 978; BGH, Beschl. v. 21.01.2016 - IX ZA 24/15 - FamRZ 2016, 632).
Der BGH rügt zudem, dass das Oberlandesgericht abweichend von § 68 Abs. 3 Satz 2 BGB das Kind erneut hätte anhören müssen, weil es auch unter Einbeziehung des erstinstanzlich ermittelten Kindeswillen von der Entscheidung des Amtsgerichts abgewichen ist. Bei geänderter Beweiswürdigung müsse die Anhörung wiederholt werden, um eine tragfähige Grundlage für eine abweichende, nicht zuletzt auch vom persönlichen Eindruck von dem betroffenen Kind abhängige Feststellung zu erlangen (BGH, Beschl. v. 12.07.2017 - XII ZB 350/16 - FamRZ 2017, 1668).



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